Die Rolle von Konvektion in Tiefdruckgebieten über Europa
Auch “langsam aufsteigende” Warm Conveyor Belts haben ihre konvektiven Momente.
18.08.2016
Zyklonen, auch Tiefdruckgebiete genannt, sind für den Großteil des Wettergeschehens in den mittleren Breiten verantwortlich. Sie produzieren zum Beispiel ungefähr die Hälfte des Niederschlags über Zentraleuropa, im Winter ist dieser Anteil sogar deutlich größer. Die Bildung von Regentropfen wird durch das Anheben von Luft und die damit verbundene Abkühlung verursacht. In einer Zyklone geschieht dieses Anheben hauptsächlich an der Kaltfront, einer Barriere zwischen warmer Luft, typischerweise im Süd-Osten, und kalter Polar-Luft vom Nord-Westen. Der Mechanismus, der die Luftteilchen zum Aufstieg bewegt, ist jedoch von Zyklone zu Zyklone unterschiedlich. Im Winter, wenn Kaltfronten oft mehrere tausend Kilometer lang sind, steigt die Luft langsam auf, während sie sich von den Subtropen in die Polarregionen bewegt. Diese Luftströme werden oft “warm conveyor belts”, warme Förderbänder, genannt (siehe Abbildung unten). Im Gegensatz dazu ist die Atmosphäre im Sommer oft instabil, weshalb Kaltfronten längliche Konvektionsbänder (Gewitter) mit rapide aufsteigender Luft auslösen können.
Eine Skizze des “conveyor belt” Modells1. Die Fronten, die zu dem Tiefdruckgebiet (L) gehören, sind auf der Erdoberfläche in ihrer Standardnotation abgebildet. Der “warm conveyor belt” startet im Süden und steigt dann parallel zur Kaltfront auf, wobei sich Wolken und Regen bilden.
Das Ziel einer kürzlich in der Zeitschrift “Monthly Weather Review” erschienenen Studie, durchgeführt von Stephan Rasp, Tobias Selz und George Craig vom Lehrstuhl für Theoretische Meteorologie am MIM, war es, neue Computertechnik und -software zu nutzen, um die im vorigen Absatz genannten unterschiedlichen Aufsteigsmechanismen zu untersuchen. Die Autoren verwendeten eine erst vor Kurzem entwickelte Software um mehrere Hunderttausend Luftteilchen in numerischen Wettersimulationen von drei Zyklonen im Euro-Atlantik-Raum zu verfolgen. Die drei Fallstudien wurden mit dem Ziel gewählt, möglichst verschiedene Wettersituatonen und Jahreszeiten zu repräsentieren, wie in der Abbildung unten gezeigt. Im Winter-Fall (JAN) steigen die Luftteilchen in einem “warm conveyor belt” auf, der sich über mehrere tausend Kilometer vom subtropschen Atlantik westlich der Küste Marokkos, bis hin nach Irland erstreckt. Der Sommer-Fall ist ein Beispiel für schnellen konvektiven Aufstieg in einer Gewitterlinie über Frankreich und Deutschland. Im Herbst-Fall (OCT) sind über dem Mittelmeer beide Aufsteigstypen vorhanden. Die numerischen Simulationen hatten eine hohe Auflösung, mit der es möglich war hochreichende Konvektion explizit darzustellen, ein wichtiger Fortschritt im Vergleich zu vorherigen Studien.
Die Animationen oben zeigen die Simulationen der drei in dieser Studie untersuchten Fälle. JAN ist der Winter-Fall, JUL der Sommer-Fall und OCT ein Fall im Herbst. Die länglichen Niederschlagsbänder (in blau) lassen die Kaltfronten erahnen, an denen die Luftteilchen (bewegliche Punkte, die Farbe zeigt den Druck) aufsteigen. Auch gezeigt ist die “convective available potential energy” (CAPE, in rot), ein Maß für die Instabilität der Atmosphäre. Die dünnen schwarzen Linien sind Kontourlinien der geopotentiellen Höhe.
Das erste Ziel dieser Studie war zu untersuchen ob der vermutete Unterschied im Luftaufstieg der verschiedenen Fällen, Sommer, Winter und Herbst, in den Daten klar zu erkennen ist. Tatsächlich zeigen die Ergebnisse, dass Luftteilchen die in einer instabilen Atmosphäre aufsteigen, also zum Beispiel im Sommer, ungefähr zehnmal schneller sind als im Winter. Dieses Resultat bestätigt, dass es eine klare Skalentrennung zwischen “synoptischen” und “konvektiven” Aufstieg gibt, wie in vorherigen Studien gesehen. Der Haken ist jedoch, dass auch Luftteilchen, die lange brauchen um von der Grenzschicht, der untersten Schicht der Atmosphäre, bis in die Tropopausenregion zu gelangen, sehr schnelle Aufstiegsphasen durchleben (siehe Abbildung unten). Die Mechanismen, die für dieses Phänomen verantwortlich sind, sind von Fall zu Fall verschieden. Im Winter-Fall ist eine bodennahe Konvergenzlinie an der Kaltfront für ein rapides Anheben der Luft bis in ca. 2 Kilometer Höhe verantwortlich. Im Gegensatz dazu verursacht im Herbst-Fall eine instabile Schicht höher in der Atmosphäre einen eingebetteten konvektiven Aufstieg. Diese Resultate könnten sich als wichtig herausstellen für das Verständnis des Wachstums von Vorhersagefehlern. Studien haben gezeigt, dass Fehler besonders schnell wachsen, dort wo Luft schnell aufsteigt. Diese schnell wachsenden Fehler können innerhalb von wenigen Tagen die Vorhersage komplett unbrauchbar machen. Im Englischen spricht man oft von “forecast busts”. Aus diesem Grund, könnte die Vorhersagbarkeit des Wettergeschehens stark davon abhängen, wie viel Konvektion in einem Tiefdruckgebiet steckt. Konvektive “warm conveyor belts” könnten deshalb das Potential haben solche “forecast busts” zu verursachen.
Diese Abbildung zeigt zehn zufällig ausgewählte Luftteilchen-Trajektorien für den Sommer-Fall (JUL, links) und den Winter-Fall (JAN, rechts). Die konvektiven Sommer-Trajektorien steigen sehr schnell von der Grenzschicht (1000-900 hPa) bis unter die Tropopause (400- 200 hPa) auf. Im Gegensatz dazu brauchen die “nicht-konvektiven” Winter-Teilchen deutlich länger. Doch trotzdem sind haben auch sie Phasen mit schnellem Aufstieg (schwarzer Pfeil).
Die zweite wichtige Erkenntnis dieser Studie betrifft den dynamischen Einfluss der aufsteigenden Luft. Meteorologen definieren oft eine Größe namens “potential vorticity” (kurz PV), die Informationen zur vertikalen Struktur der Atmosphäre und der Rotation kombiniert. Diese Größe stellt sich als sehr nützlich heraus, da ein Luftteilchen, unter “normalen” Bedingungen, d.h. weit weg von Regen, seine PV behält. In anderen Worten, PV ist erhalten wenn man einem Luftteilchen folgt. Dies ist eine der Eigenschaften, die aus PV ein mächtiges Werkzeug for theoretische Meteorologen macht. PV kann zum Beispiel angewandt werden, um den Ursprung dynamisch wichtiger Luftmassen zu bestimmen oder um den dynamischen Einfluss von Prozessen zu verstehen, die die PV verändern. Ein solcher Prozess ist die Wärmefreisetzung, die bei der Kondensation und dem Gefrieren von Wasser in aufsteigender Luft auftritt. Wenn Luft aufsteigt, steigt die PV erst und nimmt dann wieder ab (siehe Abbildung unten). Das daraus resultierende PV-Maximum kann die Zyklone verstärken. Frühere Studien mit gröber aufgelösten Modellen haben ergeben, dass die durchschnittliche PV einer aufsteigenden Luftmasse vor und nach dem Aufstieg sehr ähnlich sind. Für dieses Phänomen gibt es bislang keine theoretische Erklärung. Die Autoren dieser Studie waren also sehr gespannt auf die Ergebnisse ihrer hoch-aufgelösten Simulationen. Wie man in der Abbildung unten erkennen kann, ist die Übereinstimmung der PV-Werte vor und nach dem Aufstieg bemerkenswert und unabhängig von den sehr unterschiedlichen Charakteristika der drei untersuchten Fälle. Dieses Resultat bekräftigt die Ergebnisse der vorhergehenden Studien und weist auf eine, noch nicht verstandene, fundamentale Eigenschaft der Atmosphäre hin.
Diese Abbildung zeigt den zeitlichen Verlauf der durchschnittlichen PV für die drei Fälle. Für den Herbst-Fall wurden die Teilchen in konvektive und nicht-konvektive geteilt (OCTc und OCTnc). Die Zeitaxe ist zentriert um den Aufstiegszeitpunkt (t = 0). Das Maximum während des Aufstiegs ist klar erkennbar und ist bei den konvektiven Teilchen (JUL und OCTc) deutlicher ausgeprägt. Bei allen vier Linien ist die PV vor und nach dem Aufstieg sehr ähnlich.
Diese Studie wurde zum Teil unter dem neuen DFG-Forschungsprojekt Waves to Weather durchgeführt, in dem Wissenschaftler aus mehreren Standorten in Süddeutschland die Effekte von aufsteigender Luft, und der damit verbundenen physikalischen Prozesse, auf das Wachstum von Vorhersagefehlern untersuchen. Das Ziel ist es, ein besseres Verständnis zu gewinnen, welche Prozesse signifikante Quellen von Vorhersageunsicherheiten sind und wie diese Unsicherheiten adäquat in numerischen Wettermodellen dargestellt werden können. Vieles liegt noch im Dunkeln, aber hoffentlich stellen Studien wie diese einen kleinen Schritt hin zu einem besseren Verständnis der Atmosphäre dar.
Referenzen:
1. Kocin, P.J. and Uccellini, L.W., 1990. Snowstorms along the northeastern coast of the United States, 1955 to 1985 (Vol. 22). American Meteorological Society.