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Datum und Zeit: 15.05.2010 - 16:04


07.05.2010    15:07 Uhr Drucken  |  Versenden  |  Kontakt
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Geowissenschaften

"Ein großes Experiment"

Für viele Forscher war der Vulkanausbruch auf Island eine großartige Gelegenheit, neue Erkenntnisse zu gewinnen. In Wien haben sie sich darüber ausgetauscht.
Von Christopher Schrader

Vulkan auf Island, 
APGrossbild

Elf Vorträge, eine Podiumsdiskussion, eine Pressekonferenz und Dutzende Poster behandeln in Wien die Eruption des Eyjafjöll- (Eyjafjallajökull-) Vulkans. (Foto: AP)

Etwas Gutes zumindest hat der Ausbruch des Vulkans iauf Island bewirkt, sagt Silke Gross: "Meine Familie sagt, jetzt verstehen wir endlich, was du machst." Das erklärte dann auch die Überstunden, die die Atmosphärenforscherin von der Universität München in den vergangenen drei Wochen geleistet hat.

"Als die Wolke mit der Vulkanasche ankam, am Freitag, dem 16. April, haben wir nachmittags unser Lidar-Messgerät eingeschaltet. Abends konnten wir die Asche über München sehen, und dann haben wir zehn Tage lang durchgemessen."

Sie zeigt auf ihre Diagramme: Grün leuchtet hier die Vulkanasche, die an jenem Abend in etwa sechs Kilometern Höhe die Strahlen des Lidar-Lasers zurückwarf.

Die junge Forscherin steht in Wien vor dem Poster mit ihren Ergebnissen. Zum jährlichen Treffen der Europäischen Geowissenschaftlichen Union (EGU), das hier stattfindet, sind Tausende Wissenschaftler gekommen und berichten über Erdbeben, auftauenden Permafrost und Veränderungen des Magnetfelds.

Aber niemand hat wohl frischere Daten als Silke Gross und ihre Kollegen. Den Rekord dürfte Bernadett Weinzierl vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) halten:

Vorträge, Podiumsdiskussionen und Dutzende Poster

Am Montag ist sie von einem Messflug über Island in Oberpfaffenhofen bei München gelandet, am Dienstag diskutiert sie in Wien schon mit britischen Kollegen, die ihre Messflüge zur Vulkanasche auswerten. Elf Vorträge, eine Podiumsdiskussion, eine Pressekonferenz und Dutzende Poster behandeln in Wien die Eruption des Eyjafjöll-Vulkans - so erklärt der isländische Geologe Thorvaldur Thordarson zu Anfang die korrekte Schreibweise. In den Vorträgen sitzen Forscher quasi auf der Kante ihres Sitzes, ihre Hände fliegen wie bei eifrigen Erstklässlern hoch, wenn der Moderator zu Fragen auffordert. Sie weisen einander auf Satellitendaten hin, liefern Forschern aus anderen Ländern Umrechnungsfaktoren und überlassen Kollegen nur Minuten vor deren Vortrag ein Diagramm der eigenen Messdaten. Die ganze Disziplin ist berauscht von dem Tempo, mit dem sie neue Erkenntnisse gewinnt. Neben Stolz motiviert die Wissenschaftler in Wien der Ärger über Kritik, die ihnen die Manager von Luftlinien entgegengeschleudert hatten. Reine Theorie seien doch die Rechnungen über die Ausbreitung der Vulkanasche, hieß es zum Beispiel.

"25 Forschungsinstitute in ganz Europa haben spontan mit Messungen angefangen und die Ausbreitung der Wolke verfolgt", widerspricht Ina Matthis von der Universität Leipzig.

Ihr Institut gehört wie das Münchner zum sogenannten Earlinet, einem Zusammenschluss von Gruppen, die zwischen Tromsø und Lecce im Absatz des italienischen Stiefels sowie zwischen Barcelona und Bulgarien die Atmosphäre mit Lidargeräten vermessen.

Andere Forscher, etwa aus den Niederlanden und der Schweiz, haben die Ausbreitung der Wolke mit mehreren verschiedenen Satelliten verfolgt und bestätigen, dass die Asche tatsächlich dem vorgezeichneten Verlauf gefolgt ist.

"Eine große Zahl von Menschen hat sofort reagiert, obwohl sie keine Verantwortung für die Funktion des Luftverkehrs hatten", bestätigt Augusto Neri von italienischen Nationalinstitut für Vulkanismus in Pisa.

In der Öffentlichkeit angekommen ist davon bisher aber wenig, auch deswegen, weil die Flughafensperrungen in Mitteleuropa ein verlängertes Wochenende dauerten, und Forscher und Journalisten nicht so schnell zueinanderfanden.

930 Mikrogramm Rauchpartikel pro Kubikmeter Luft

In den drei Wochen seit der Vulkan ausbrach, haben die Forscher viel gelernt. Etliche Gruppen liefern nun Schätzungen, wie hoch die Konzentration der Partikel in der Luft war.

Silke Gross und ihre Kollegen von der Universität München kommen zum Beispiel auf 930 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft für jenen Freitagabend. Am Samstagmorgen danach zeigen Messungen des Deutschen Wetterdienstes auf dem Hohenpeißenberg 400 Mikrogramm.

Beide Messwerte sind aber so unsicher, dass die wahren Zahlen auch fast doppelt so hoch liegen könnten, sagen die Forscher. "Bis Samstag, dem 17. April, war das Flugverbot also gerechtfertigt", sagt Ulrich Schumann von DLR, unter dessen Verantwortung Bernadett Weinzierl in einem Forschungsflugzeug vom Typ Dassault Falcon 20 E zu ihren Messflügen gestartet ist.

"Danach nicht mehr, weil die Asche gealtert war und abgesunken ist." Aufgehoben wurde das Flugverbot aber erst in der Nacht zu Mittwoch.

Dazu hatte beigetragen, dass die europäischen Luftverkehrsbehörden einen Grenzwert diskutieren. Bei bis zu 2000 Mikrogramm Vulkanasche pro Kubikmeter soll das Fliegen mit Einschränkungen erlaubt sein; im britischen Luftraum gilt das Limit nach Konsultationen mit Treibwerkherstellern schon.

Es wurde Mitte April wohl nirgends in Europa überschritten. Ob das Limit berechtigt ist, können die Geoforscher nicht sagen, ihre Expertise endet hier. Die Ingenieure der Flugzeughersteller müssten nun systematisch erproben, wie viel Asche die Triebwerte aushalten, mahnt der neugewählte Präsident der EGU, Donald Dingwell von der Universität München - "als Bürger und nicht nur als Wissenschaftler".

Die ersten Schritte hat die Luftfahrtindustrie schon getan, sagt Fred Prata. Der Australier arbeitet in Oslo beim Norwegischen Institut für Luftforschung. Er zieht in Wien stolz einen Plastikbeutel aus dem Rucksack, wie sie die Spurensicherung der Polizei verwendet.

Darin steckt ein weißes Tuch. Das sei eine Wischprobe vom Turbinenblatt einer Maschine, erklärt er, die Kontakt mit Vulkanasche hatte. "Seit 20 Jahren bitte ich Fluggesellschaften um solche Proben, erst jetzt war zumindest eine bereit zu kooperieren."

Genauso lang wirbt er für die Idee, Flugzeuge sollten ein spezielles Messgerät an Bord haben, um auf dem Flug Aschekonzentrationen zu messen. Vor ein paar Tagen habe zum ersten Mal eine Fluglinie mit ihm über den Vorschlag gesprochen.

Allerdings müssen die Atmosphären- und Vulkanexperten ihrerseits noch daran arbeiten, die Eigenschaften der Asche genauer zu bestimmen. Dazu vor allem diente der jüngste Flug der DLR-Falcon.

Die Maschine hat dabei einen Teil der Luftmasse verfolgt, in der seit dem 29. April wieder mehr Asche des Vulkans gen Europa schwebt. Am 1. und 2. Mai haben die Forscher um Weinzierl die Partikel auf dem Weg zu den Britischen Inseln zweimal vermessen.

Sie fanden Konzentrationen von bis zu 3400 Mikrogramm pro Kubikmeter, dennoch trauten sie sich sogar für 50 Sekunden in die dunklen Schwaden hinein. Am Tag 3 haben die Iren und am Tag 4 die Briten die Messflüge übernommen.

Die internationale Kooperation soll weitere Ergebnisse über die Eigenschaften der Asche enthüllen.

Die Anforderungen der Flugsicherung können die Forscher aber schon erfüllen. "Wenn es morgen wieder einen Ausbruch gibt", sagt Ulrich Schumann, "dann verfolgen 200 bis 300 Wissenschaftler in Europa die Ausbreitung der Asche. Und wir können jetzt eine vernünftige Einschätzung der Konzentration mit Angabe der Unsicherheit liefern."

Das ist auch deswegen ein großer Fortschritt, weil sich die "Regeln des Spiels geändert haben", wie Fred Prata sagt. "Früher wollten die Luftlinien wissen, wo Asche ist, damit sie außen herum fliegen können. Jetzt wollen sie wissen, wie viel Asche da ist - damit sie den kürzesten Umweg berechnen können."

Etwas schnodderig, aber sehr treffend, fasst in Wien Anja Werner vom Deutschen Wetterdienst die Fortschritte zusammen: "Ein großes Experiment wie der Vulkanausbruch bringt die Forschung auch ein großes Stück weiter."

(sueddeutsche.de/cosa/mcs)

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